Vor zwei Jahren: Westfalenhalle, deutlich nicht ausverkauft. Vor der Tür ein Promo-LKW von Opel und Menschen, die Eintrittskarten verschenken. Heute: FZW, auch nicht ganz ausverkauft, aber deutlich besser gefüllt. Im Vorraum ein einfacher Merchstand, der CDs, T-Shirts und Tassen verkauft. Es könnte ein ganz normales Konzert sein.
Unter anderem hier, wo sonst Bands wie Soundgarden, New Model Army und kettcar auf der Bühne stehen (zugegebenermaßen aber auch solche wie Mrs. Greenbird und Silly), will Lena Meyer-Landrut die zweite Phase ihrer Karriere einläuten. Der Start zur Erschließung eines neuen Publikums letztes Jahr beim Reeperbahn-Festival war eher nicht so gut verlaufen, die Clubtour zum dritten Album „Stardust“ soll Lena jetzt als ernstzunehmende Künstlerin abseits der ESC- und ProSieben-Verwertungsketten etablieren.
Die gute Nachricht: Ihr Publikum ist ihr treu geblieben. In der Halle steht wieder diese merkwürdige Mischung aus sehr jungen Kindern mit Leuchtstäben und Eltern auf der einen und etwas Besorgnis erregenden, allein reisenden Männern über 40 auf der anderen Seite. Die schlechte Nachricht: Neue Zielgruppen hat Frau Meyer-Landrut zumindest im Ruhrgebiet nicht erschließen können.
Das könnte auch schwierig werden, denn die ersten Minuten des Konzerts bestätigen alle Klischees der affektierten, nervigen Göre, mit denen sich Lena seit zwei Jahren rumschlagen muss. „Ihr seid das schönste Publikum, das ich bis je gesehen habe — bis jetzt“, klingt bei Götz Alsmann irgendwie charmanter und augenzwinkernder und dieses bizarre Rollensprechen, das Lena sich irgendwo bei Sarah Kuttner, Nora Tschirner und Anke Engelke abgeschaut hat und in das sie immer wieder verfällt, sorgt selbst bei mir für Fremdscham-Gänsehaut.
Musikalisch gibt es wenig auszusetzen: Produzent Swen Meyer (Tomte, kettcar, Kilians) hat eine hochsolide Backing Band zusammengestellt, die in ihren besten Momenten mit Chorgesang und Glockenspiel tatsächlich an irgendwelche skandinavischen Indie-Bands erinnert, und Lenas Stimme ist über die Jahre dann doch ein bisschen intensiver und lauter geworden. Das ziemlich ruhige Liebeslied „To The Moon“ ist als Opener (nach Edith Piafs „Non, Je Ne Regrette Rien“ als Aufmarschmusik — nun ja) nicht unbedingt die nahe liegendste Wahl, nimmt das Publikum aber ganz gut in Empfang. Es wäre vielleicht zu viel des Guten gewesen, wenn Lena The-Killers-mäßig die Hits direkt am Anfang abgefackelt und zum Beispiel mit „Satellite“ eröffnet hätte.
Ansonsten ist die Setlist schon deutliche Emanzipation: Lena spielt fast das gesamte „Stardust“-Album, dafür sehr wenig von den ersten beiden Alben — und keine einzige Stefan-Raab-Komposition. Bei „Day To Stay“ darf die kleine Mandy aus dem Publikum auf die Bühne und den Refrain singen, was ganz fürchterlich hätte schief gehen können, aber tatsächlich für den ersten echten Überraschungsmoment des Abends sorgt. Sie macht das gar nicht schlecht und weil Lena ja die Strophen singen muss, hat sie keine Zeit, „The Voice Kids“-mäßig auszuflippen.
Aufgepimpt wird die Liedauswahl mit Coverversionen, mit denen sich Lena eigene Wünsche erfüllen will: „Je Veux“ von Zaz hätte es nicht unbedingt gebraucht (aber da mag ich schon das Original nicht), „Lifening“ von Snow Patrol inspiriert ein Teenager-Mädchen neben mir zu dem Kommentar: „Bis jetzt fand ich sie ja eigentlich ganz okay — aber ich bin Snow-Patrol-Fan!“, und „Rich Girl“ von Hall & Oates hat Lena vermutlich bei The Bird & The Bee entdeckt. Die beste Idee ist es aber, den Zugabenblock mit „Baby, One More Time“ zu eröffnen: Können die Kinder nix mit anfangen und die Erwachsenen rollen mit den Augen, aber Lena hat sichtlich Spaß.
So ein Pfeifen auf die Erwartungen würde ich mir auch vom Rest des Programms wünschen, aber der ist zu unentschlossen: Dass Lena die alten (also: jungen) Fans nicht verprellen will, ist verständlich, aber weil sie gleichzeitig ein neues, eher alternativeres Publikum ansprechen will, gerät das alles zu einem Spagat zwischen Kindergeburtstag und „normalem“ Konzert, der nicht so recht gelingen will. Da ist Max Mutzke mit seiner Neuausrichtung zum Beispiel konsequenter gewesen.
Andererseits sollte Max Mutzke Lena auch Mut machen, was eine Karriere nach dem Song Contest und nach Stefan Raab angeht: Sie wird ihr Ding schon machen. Natürlich ist es erst mal ernüchternd, sich auf einem neuen Erfolgslevel einzupendeln, wenn man derart erfolgreich gestartet ist wie Lena. Aber, hey: Diesmal sind etliche Konzerte ausverkauft, sie hat eine gute Fanbasis, die sie vielleicht doch noch ausbauen kann. Im Laufe des Abends werden ihre Ansagen schon mal deutlich weniger anstrengend und verkrampft. Lena muss sich nicht wie Alexander Rybak als One-Trick-Pony dem ESC-Wanderzirkus anschließen. Noch nicht mal als Two-Trick-Pony: „Taken By A Stranger“ gewinnt als Mash-Up mit dem Vorbild „Tainted Love“ noch mal dazu und „Satellite“ kommt in einem neuen, etwas jazzigeren Arrangement daher, aber aus dem Abend nehme ich vor allem einen unfassbaren „Stardust“-Ohrwurm mit.
Lena beendet den Abend nach etwas über anderthalb Stunden mit „Goosebumps“: „I know that we will meet again“, singt sie und das ist natürlich arg programmatisch gewählt, aber passt schon.
*) „Exklusiv“ in dem Sinne: Es ist die einzige, die wir hier schreiben.